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Lebenslang *
Benebelt öffnet er sein rechtes Auge. Das war eindeutig zu viel Wein gewesen. Obwohl er eigentlich gut was vertragen konnte. Aber er war seit Wochen, seit Monaten nicht mehr so betrunken. Genau genommen, seit Kathrin ausgezogen war.
Mittlerweile umgeben ihn Türme. Türme aus schmutzigem Geschirr, aus Zeitungen und Büchern, die er verschlingt wie ein Alkoholiker die Schnäpse an der Theke. Wogegen sollen sie ihn schützen?
Langeweile, Alleinsein, Sinnlosigkeit. Todesursache Sinnlosigkeit – gibt es das?
Ein Mensch kann viele Tage ohne Nahrung leben, nur wenige ohne Wasser. Wie lange kann er so weitermachen? Auch die Filme und Bücher können da nicht mehr viel ausrichten. Er kennt schon alles. Liebe, Eifersucht, Betrug. Einsamkeit inmitten von Menschen, auf mehrtägigen Pauschalreisen mit jungen attraktiven Reiseleiterinnen.
Er hat Geld und sieht nicht schlecht aus. Das ist nicht sein Problem, eine Frau ins Bett zu kriegen. Das übliche Programm wirkt immer. Doch nicht mehr bei ihm.
Jeden Morgen dieselbe Verzweiflung, weil er seine Waffe brav mit allen Papieren abgegeben hat. Es wäre so einfach gewesen. Schnell und schmerzlos und sicher.
Kathrin. Wie er sie vermisst. Ihre Naivität und Unmittelbarkeit, mit der sie sich über seinen guten Geschmack hinwegsetzte, Konventionen einfach nicht zur Kenntnis nahm.
Sie war so begeistert gewesen und hatte ihm irgendetwas aus einem Buch vorgelesen und er hatte dabei seine Nachrichten kontrolliert und nur kurz nachgesehen, wie das Wetter werden sollte.
Es war auf einmal still geworden und sie hatte ihn ganz ruhig angesehen. Er hatte sofort gewusst, dass er etwas falsch gemacht hatte. Was war das noch gewesen, was sie da vorgelesen hatte von diesem Mädchen und seinem Vater. Sie hatte ihn ruhig angesehen, zu ruhig, und angefangen, ihre Sachen zu packen.
Dies verfluchte Buch.
Er wird sie alle lesen und ihr beweisen, wie sehr er sie liebt und dass er ganz anders ist.
Sie hatte ihn angesehen und ihm zum Abschied einen Kuss gegeben. Da wusste er, es war
ernst.
Sie würde nicht zurückkommen.
Er hat das Buch gelesen. Immer wieder, aber er hat sie nicht darin gefunden. Diese Stelle, die sie so geliebt hat.
Er schließt seine Augen wieder. Es lohnt nicht.
Todesursache: Alleinsein ohne Kathrin.
So einfach ist das nicht. Das weiß er. Er sieht klar vor sich, wie er jeden Tag aufstehen, essen und trinken wird.
Und niemand wird erkennen, dass er bereits gestorben ist, vor langer Zeit.
* zu: Leiber - mehrtägig - Wochen - Türme - Wein
7.2020/4.2017
Zu Katharina Lüke: Winter into spring
Kleine Semantik
Buchstaben verbinden sich zu Wörtern,
ergeben erst zusammen einen Sinn im Auge des Betrachters.
Warum lesen wir beide dann nur Unverständnis in den Blicken der anderen,
wenn wir Hand in Hand die Straße entlang gehen?
2.2020/2013
S I L V E S T E R
Vier Verse
Er liest, sie ist.
Leises Eis
Risse
Sie ist, er reist.
Leere
1.2020
die Erde
ein aufgeschlagenes Buch
du und ich
nur ein Wort
10.2019
Windsbraut*
"Du bist eine Windsbraut, wie sie im Buche steht", sagte ihre Mutter immer und sah dabei missbilligend auf ihre Haare und die violett lackierten Fingernägel.
Wenn Dorothea mit Tante Tuni, der jüngsten Schwester ihrer Mutter, unterwegs war, hatte das Wort einen anderen Klang. Sie standen gerne auf dem Lichtenturm, blickten weit über die Stadt und ließen Haare und Gedanken fliegen.
"Meine kleine Windsbraut", sagte die Tante dann und drückte fest Dorotheas Hand. Sie hatte sich immer eine Tochter gewünscht.
Jetzt steht sie manchen Morgen vor dem Spiegel und öffnet das kleine Kästchen mit der silbernen Drossel, das fast überquillt von den Rosenblüten, die sie dort aufbewahrt. Jetzt brauchen sie beim Trocknen immer weniger Platz und verströmen umso verschwenderischer ihren Duft.
Ja, sie musste wohl eine Windsbraut sein. Hin und her geweht zwischen den beiden Männern, deren Rosenblüten sie dort aufbewahrt. Die großen purpurnen Blätter der einen und die alte, üppig gefüllte aus dem botanischen Garten, die sich klein und blass mit ihrem starken Duft immer wieder vordrängt.
Dorothea seufzt und steckt ihre Nase hinein. Zusammen sind sie einzigartig.
Genau das Richtige für eine Windsbraut wie sie.
* zu: Windpocken - Windorgel - Windrad - Windrose - Windsbraut - Windsor
9.2019
Zeichen an der Wand
Ich sehe in dein Gesicht
frage mich
wer sie lesen kann
6.2019
In ihrem Kopf*
Die Ärzte hatten keine Ahnung. Sie wusste es besser.
In ihrem Kopf gab es nicht diesen fleischfarbenen Schwamm, in dem angeblich alle Erfahrungen ihres Lebens und ihrer Vorfahren über elektrische Impulse und chemische Botenstoffe gespeichert und abgerufen wurden.
In ihrem Kopf flatterten Millionen und Abermillionen von Blättern. Hauchzart, Worte auf Bibelpapier geschrieben. Poetische und drastische Wörter, die die Trümmer einer Ehe wieder zu einem Fundament verbinden konnten. Wörter wie Tauwetter, die sein Lächeln zum Schmelzen brachten.
Sie wusch sich die Hände, bevor sie sich dorthin zurückzog, hier eine Seite las, dort mit ihrem Lieblingsfüller etwas anstrich.
In ihrem Kopf roch es nach altem Leder und man hörte nur ab und zu das Rascheln einer Seite bei einer besonders ergreifenden Textstelle.
Ob es wirklich so war, wen interessierte das schon?
* Reizwörter-Übung zu: Trümmer – aufgeschrieben – Tauwetter – Kopf – Erfahrungen – Blätter - bleiben
5.2019/2017
Sie wartet. Hockt geduldig auf dem kalten Stein und weiß, er wird kommen und seine Tragödie vor ihr ausbreiten, und sie wird sich alles gut schmecken lassen.
Die Streitereien und Tränen. Die Wut in den Augen seiner Frau und ihr Lächeln am Morgen danach.
Davon lebt sie, presst alles Blut aus ihnen heraus und zieht schwarze Fäden über das weiche Papier.
Sie kennt alle Muster. Hat schon alles gesehen und weiß genau, dass er wiederkommen wird und sehen will, wie sie daraus eine Geschichte knüpft, die einen Sinn ergibt.
Sie, die Druckerpresse.
1.2019/7.2018
Vermächtnis*
„Willst du wirklich im Dunkel ins Tal?“, frag ich dich, meine Tochter. „Du weißt doch von den Luftwirbeln, den gefährlichen!“
„Ja, gerade deswegen. Ich lasse meinen Rock wehen und schwenke die Laterne hoch über meinem Kopf!“
Ich sehe ihr nach und denke: Das hat sie von mir!
Dann suche ich mir ein dickes Buch aus dem Regal, denn die Nacht kann lang werden.
* Übung zu den Wörtern: im Dunkel - wirklich - Luftwirbel - frag - ins Tal
11.2018/11.2016
Eine Fensterbank aus Marmor
so breit und tief
dass ich mit angezogenen Beinen bequem darauf sitzen kann.
Der Bogen des Altbaufensters wölbt sich über mir.
Im Rücken spüre ich den körnigen Putz
höre Stimmenfetzen aus den Klassenräumen
in denen Unterricht ist.
Vor mir das Treppenhaus
schlanke Stahlsäulen mit durchbrochenen Kapitellen streben nach oben
Alles ist hoch, luftig und hell.
Ich schreibe ein Gedicht, das niemals jemand lesen wird, feile an Worten, streiche und träume
Que sera sera
9.2018/4.2001
* Zum Thema „Ein Ort aus deiner Schulzeit“ entstanden
Aus Schillers Schublade
Faulende Äpfel in deiner Schublade.
Ihren Geruch brauchtest du, wolltest an den Verfall und die Endlichkeit des Lebens erinnert werden, um unsterbliche Werke zu schaffen, die die Zeiten überdauern mit ihrem psychologischen Blick und leidenschaftlichen Feuer.
Du warst nie jemand für halbe Sachen.
Kein Diplomat, der sich mit den Mächtigen arrangierte. Deine Visionen von Freiheit und Brüderlichkeit haben Generationen begeistert.
Ein Mensch wie du konnte nicht alt werden.
Branntest an allen Enden und schontest dich nicht.
Als man deinen Körper nach deinem Tod öffnete, warst du wie ein fauliger Apfel - deine Organe waren bereits dabei, sich aufzulösen.
Doch die Kerne gingen auf, trugen Früchte.
Unsere Sprache ist reich an geflügelten Worten und Bildern aus deinen Versen, die uns begleiten bis heute.
9.2018/3.2016
Girl Crazy*
Das Surren in der Luft wurde immer lauter, bis der Klang in ihrem Kopf schwarz vor Fliegen war. Die Flügel schillerten und blinkten. Sie schloss die Augen und schluckte sie der Reihe nach hinunter, bis alle aufgegessen waren und wieder Ruhe in ihrem Kopf einkehrte. In dieser Nacht träumte sie davon, wie der Elfenkönig sie in einem Panzer aus Mistkäferflügeln als seine Braut heimführte in sein Reich und alle Ärzte und Pfleger ihr zu Füßen lagen.
* Fingerübung zu Reizwörtern: Luft – blinken – gegessen – schwarz – Klang – surren
8.2018
Hätte Rapunzel Bücher gekannt,
es hätt' widerstanden ihr keine Wand.
Hinausgetragen hätten die sie
auf den Flügeln der Poesie.
7.2018/9.2009
Schreiben
Wenn es in mir brodelt und nach außen drängt wie Lava unter der Erdkruste, kann ich immer und überall schreiben.
Sonst sind die Stunde und das Land der Dämmerung meine Welt des Schreibens, wenn das Über-Ich sich nach und nach das Zepter aus der Hand nehmen lässt und mein Es beginnt, an der Tür zu scharren, weil es herausgelassen werden will.
Ich lasse meine Gedanken treiben und kreisen, bis sie etwas gefunden haben, um das sich alles dreht und das in Bildern und Worten aus der Ursuppe emporsteigt.
Und irgendwann ist er da, der Text. Ich betrachte ihn staunend und zufrieden. Erfüllt von dem Gefühl schöpferischer Kraft.
Dann lege ich ihn beiseite bis zum Morgen, damit mein Ich gut ausgeschlafen beginnen kann, den rohen Block zu bearbeiten und in eine Form zu bringen, die man draußen präsentieren kann.
2.2018/12.2017